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Beitrag vom 14.02.2007
Fremde Unternehmerinnenwelt
Dr. Nicola Schuldt-Baumgart
In Deutschland gibt es immer mehr Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund. In der Öffentlichkeit ist diese Entwicklung jedoch noch nicht angekommen. Defizite und Ausblicke.
Appelle an eine neue Gründerkultur basieren nicht selten basieren auf einem tradierten Unternehmerbild: männlich und einen deutschen Pass im Anzug tragend. Dass immer mehr Frauen ein Unternehmen gründen und zunehmend auch Frauen mit ausländischem Pass bzw. Migrationserfahrung, wird hingegen kaum wahrgenommen. Dabei arbeiten in Deutschland heute fast 300.000 ausländische und eingebürgerte UnternehmerInnen, sie beschäftigen etwa eine Million ArbeitnehmerInnen und erwirtschaften jährliche Umsätze von ca. 17 Milliarden Euro. Insgesamt zahlen alle in Deutschland lebenden MigrantInnen pro Jahr rund 50 Milliarden Euro an Steuern und Sozialabgaben. Die ausländische Selbständigkeit ist zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in Deutschland geworden und schafft nicht nur Beschäftigung, sondern bereichert auch das Güter- und Leistungsangebot im Inland, schreibt etwa die "Zuwanderungskommission" in ihrem Gutachten.
Besonders dynamisch verläuft das Gründungsgeschehen bei Migrantinnen.
"Vor allem Frauen, deren Familien bereits in der zweiten und dritten Generation in Deutschland leben, wählen häufig den Schritt in die Selbständigkeit", beobachtet Zeliha Yetik während ihrer Arbeit für PETEK, ein Business-Netzwerk für Migrantinnen in Duisburg. Mit der Selbständigkeit erfüllten sie sich entweder ihren Wunsch nach ökonomischer Unabhängigkeit oder suchten nach Wegen aus der Arbeitslosigkeit. Diese Entwicklungen würden jedoch sehr häufig übersehen. Denn die öffentliche Wahrnehmung von Migrantinnen konzentriere sich nach wie vor auf erschreckende Meldungen über Zwangsheirat, familiäre Gewalt oder Ehrenmorde.
Dass gerade Frauen besonders hartnäckig von diesen Klischees begleitet werden, offenbart die Berichterstattung über Nina Öger, Geschäftsführerin des gleichnamigen, fünftgrößten Reiseveranstalters Öger Tours und ihren Vater Vural Öger, Unternehmensgründer und seit 2004 Mitglied des Europaparlaments. "Türkin, alleinerziehend und Chefin" überschrieb etwa die Welt am Sonntag ein Portrait von Nina Öger. Während ihr Vater fast ausschließlich mit (politischen) Inhalten zu Wort kommt, wird die erfolgreiche Unternehmerin in Interviews geradezu stereotyp gefragt, wie sie es denn schaffe, Beruf, Privatleben und Familie zu vereinbaren und wie sie über ihre deutsch-türkische Herkunft denke. "Ich kann beides wunderbar miteinander verbinden", beschreibt Öger ihre Version der gelebten Bi-Nationalität. "Bin ich in der Türkei, freue ich mich auf Deutschland und umgekehrt."
Auch das Bild von der mithelfenden Ehefrau in der Pizzeria, der Dönerbude oder dem Gemüseladen, trifft die Realität nur unzureichend. "Tatsächlich gründen Migrantinnen ihre Unternehmen immer häufiger auch jenseits der traditionellen Branchenschwerpunkte wie Gastgewerbe oder Handel", sagt Iris Kronenbitter von der bundesweiten gründerinnenagentur (bga). Es falle auf, dass viele dieser Unternehmerinnen ihre schulische und berufliche Ausbildung in der Regel in Deutschland erhalten haben, gut qualifiziert sind und die Chancen nutzen, die ihnen die unternehmerische Selbständigkeit im Gegensatz zur abhängigen Beschäftigung bietet.
In ihren Forschungen beobachtet Ingrid Tucci, Wissenschaftlerin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin jedoch auch, dass der Migrationshintergrund den ohnehin bestehenden "gender gap" bei der Selbständigenquote verstärke. Hier seien verbesserte und zielgruppengenaue Beratungsangebote wichtig. Nach Daten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) waren im Jahr 2005 mehr als ein Viertel aller Selbständigen mit Migrationserfahrung Frauen. Zum Vergleich: Bei Frauen ohne diesen Hintergrund lag die Selbständigenquote im gleichen Jahr bei 35 Prozent. Ein anderes Ergebnis ihrer Forschungen zeigt eine von Herkunftsland zu Herkunftsland variierende Selbständigenquote: Die GriechInnen nehmen hier eine Spitzenposition ein. "Das Gründungspotenzial ist längst nicht ausgeschöpft" , so die Soziologin. Hier bleibe viel zu tun. Denn die Selbständigkeit von MigrantInnen leiste einen wichtigen Beitrag zur Integration und sei für die nachfolgenden Generationen von großer Bedeutung.
Wie groß der Wertschöpfungsbeitrag der "ethnischen Ökonomie" ist, weiß niemand so genau. "In Deutschland bestehen in allen Bereichen der Migrations- und Integrationspolitik gravierende Datendefizite", schreibt der Zuwanderungsrat in seinem Jahresgutachten 2004. In den Statistiken gibt es außerdem kaum Primärdaten, die nach dem Geschlecht differenzieren oder die die Zahl der UnternehmerInnen ausweisen, die zwar einen deutschen Pass besitzen, deren Eltern aber nicht-deutscher Herkunft sind. "Daher dürfte die Zahl der Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund noch über den offiziellen Zahlen liegen, die lediglich ausländische Unternehmerinnen ausweisen" sagt der Wissenschaftler René Leicht vom Mannheimer Institut für Mittelstandsforschung.
"Kein Wunder also, dass das volkswirtschaftliche Potenzial von Migrantinnen allgemein unterschätzt wird, besonders ihr Potenzial als Gründerin und Unternehmerin", sagt Andrea Nispel, vom Verein für berufliche Integration (Berami e.V.) in Frankfurt/M. "Viele Institutionen zur Beratung und Förderung von Existenzgründungen haben einen blinden Fleck beim Thema Einwanderungsland." Es brauche ein 'Migration Mainstreaming' der Gründungsförderung und eine zunehmende Sichtbarmachung des Potenzials von Migrantinnen.
Mit Workshops und mehrmonatigen Kursen wollen die Frankfurter Frauenbetriebe Migrantinnen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern und ihr Interesse an einer Unternehmensgründung wecken. "Gemeinsam mit kommunalen Einrichtungen wie dem Rhein-Main Jobcenter arbeiten wir an Strategien, mit denen wir die Frauen noch besser über unsere Angebote informieren wollen", sagt Isinay Kemmler, die das Programm auf Seiten der Frauenbetriebe betreut. Wichtig sei, Migrantinnen in ihrem Alltag anzusprechen, etwa beim Einkauf oder in Kulturzentren.
Auch eigene Netzwerke seien für ausländischstämmige Unternehmerinnen wichtig, wie Zeliha Yetik aus ihrer Arbeit für PETEK weiß. Bisher seien Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund kaum vernetzt, weil sie sich in den bestehenden Zusammenschlüssen wenig aufgehoben fühlten. "Wir wollen mit unserem Netzwerk positive unternehmerische Beispiele vorstellen und dazu beitragen, dass das Bild der Migrantinnen in der öffentlichen Diskussion reflektiert und Klischees überwunden werden", sagt Yelik.
Weitere Informationen im Netz:
Beramà - berufliche Integration e.V.: www.berami.de
Businessnetzwerk Migrantinnen - PETEK: www.petekweb.de
bundesweite gründerinnenagentur - www.gruenderinnenagentur.de
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung - www.diw.de